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Von der Schlichtheit der Musik im weltlichen und religiösen Sinn - eine Rezension von Cornelia Staudacher

Es war eine kluge Entscheidung, mit der Ersten Sinfonie von Johannes Brahms zu beginnen. Eine Symphonie, mit der sich Brahms jahrelang immer wieder beschäftigt hat, die schließlich im November 1876 in Karlsruhe zu ihrer Uraufführung kam. Da war Brahms bereits 42 Jahre alt und hatte sich viele Jahre mit seinem „unerreichbaren Vorbild“, mit Beethoven auseinandergesetzt, dem „Riesen“ wie er ihn nannte. Von dieser tiefen Ehrerbietung legt er in seiner Ersten unumwunden Zeugnis ab mit musikalischen Zitationen an die „Ode an die Freude“.


Als Wilhelm Furtwängler, auch ein großer Bewunderer Beethovens, einmal von der Berliner Musikkritikerin Karla Höcker gefragt wurde, warum er Beethoven in seinen Programmen eine so ausgeprägte Sonderstellung einräume, fand er berührende Worte für die Gleichzeitigkeit des „Natürlichen“ und „Überirdischen“ in Beethovens Musik: „Bei aller Gewalt, die diese Musik durchwebt, ist es wie eine heilige Nüchternheit, die sie in das Gesetz alles Organischen zwingt. Sie ist explosiv, ja ekstatisch - und dennoch nicht im Geringsten exaltiert“, formulierte Furtwängler und fuhr fort: „Nie hat es eine weniger künstliche, eine selbstverständlichere, bei aller Gewalt des Ausdrucks schlichtere – oder, um es modern auszudrücken – sachlichere Musik gegeben als die seine. Heute, im Zeitalter der Sachlichkeit, ist er schon deshalb aktuell wie kein anderer!“

 

„Die schönsten Beethovenschen Momente zeugen von einer Unschuld, einer kindlichen Reinheit, die trotz allem Menschlichen, das ihnen anhaftet, etwas wahrhaft Überirdisches hat. Niemals hat ein Musiker von der Harmonie der Sphären, dem Zusammenhang der Gottesnatur mehr gewusst und mehr erlebt als Beethoven.“ Wenn Brahms dem nacheiferte, so kann es auch der Interpretation durch die Berliner Symphoniker unter der Leitung ihres Dirigenten Daniel Kirchmann bescheinigt werden, in der das harmonische Zusammenspiel von natürlichen, organischen und überirdischen Kräften auf wunderbare Weise zum Klingen kam.

© Ella Krug
© Ella Krug

Auch Mozarts c-Moll-Messe, 1783 in Salzburg uraufgeführt, bildet ein Sammelsurium sehr gegensätzlicher Ausdrucksformen: Strenge, an Bach orientierte Satztechniken auf der einen, vital-sinnliche, an die Oper erinnernde Arientechnik mit den dazu gehörenden Koloraturpassagen auf der anderen Seite. Anders als im Falle seiner 15 vollendeten Messen aus der Salzburger Zeit, die im Auftrag des Salzburger Erzbischofs entstanden, gab es für die c-Moll-Messe keinen Auftraggeber, also auch keine Konditionen. Sie entstand vielmehr als Hochzeitsgeschenk an Constanze. Wolfgang und Constanze hatten im August 1782 geheiratet, im Oktober 1783 wurde die Messe uraufgeführt. Die Sopranarien scheinen Constanze auf den Leib geschrieben zu sein. Und das nicht genug, zwei Stücke, das „Domine Deus“ und das „Quoniam tu solus“, sind als Duett für zwei Soprane bzw. als Terzett für zwei Soprane und Tenor komponiert - Kunststücke harmonischer, stimmlicher und rhythmischer Achtsamkeit und Seelenverwandtschaft (sensibel gesungen von Esther Hilsberg, Alice Lackner und Burkhard Solle).


Ein weiterer Höhepunkt war das ehrwürdige achtstimmige „Qui tollis“, ein gewaltiges Largo mit anspruchsvoller Orchesterbegleitung, das in seiner Ausstrahlung an das Kyrie in Bachs h-Moll-Messe denken lässt. Für Wolfgang Hildesheimer, den leidenschaftlichen Mozartverehrer und Verfasser der gelungensten Mozart-Biographie,  ist das „Qui tollis“ eines der „atemberaubendsten Musikstücke Mozarts überhaupt“.

© Gundula Bojanowski
© Gundula Bojanowski

Obwohl die c-Moll-Messe von Mozart nie vollständig zu Ende komponiert worden ist, gehört sie zu den herausragenden Messvertonungen der europäischen Musikgeschichte. Mehrere Komponisten haben kompositorisch ergänzend oder aufführungstechnisch mit ihr herumlaboriert. Im Laufe dieser Arbeiten erhielt das Werk das Attribut „die Große“, das nicht von Mozart stammt.


Vom volltönigen Allegro vivace des „Gloria in excelsis Deo“, mit dem die Messe gravitä-tisch anhebt, über zwei achtstimmige Choräle „Sanctus“ und „Qui tollis“, das Gebet „Cum Sancto Spiritu“ und das Glaubensbekenntnis „Credo in unum Deum“ über die kunstvolle Arie für Sopran „Et incarnatus est“ zum gewaltigen Schlusschor „Hosanna in excelsis“, bei dem man am liebsten mitgesungen hätte – es war ein musikalisches Fest im wahrsten Sinne des Wortes. Ob Allegro vivace, Andante moderato, Adagio oder Largo – ob vier- oder achtstimmige Chöre - mit ihrem technischen Vermögen, ihrer Hingabe und Einfühlung in die Musik interpretierten die erfahrenen und hoch motivierten Sängerinnen und Sänger der Camerata Vocale Berlin, begleitet von einer großen Konstellation des Orchesters mit ausgiebig Holz- und Blechbläsern, die unterschiedlichen, teilweise schwierigen Stationen dieser monumentalen Messe auf bewundernswerte Weise.


Wieder konnte man erleben, wie sich das Verhältnis zwischen Daniel Kirchmann, der seit September 2021 künstlerischer Leiter des Chores ist, dem Chor und dem Orchester in gegenseitigem Vertrauen weiterentwickelt hat. Das festliche Sonntagnachmittags-Konzert wurde von einem begeisterten Publikum mit standing ovations gefeiert.